Erlanger Tagblatt zum Konzert am 27. Januar in Erlangen

 

Stimmgewaltiger "Lobgesang" begeisterte die Festgäste

Glänzende Aufführung des Erlanger Kammerorchesters unter der Leitung von Ulrich Kobilke - Drei Chöre zu einer homogenen Gruppe vereint - Erinnerung an den Nazi-Terror

Reden kann man viel, aber was bürgerschaftliches Engagement bedeutet, das stellten unvergesslich beim Auftakt der 1000-Jahr-Feier die über 200 Musiker und Sänger unter Beweis, die mit der Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys "Lobgesang" auch gleichzeitig demonstrierten, dass in Erlangen nicht nur Forschung und Wissenschaft den Ton angeben, sondern auch Kultur ihre Tradition hat. Der 126 Jahre alte Gemeinnützige Theater- und Konzertverein Erlangen (gVe) setzte als Veranstalter des musikalischen Ereignisses sehr selbstbewusst sein Emblem zwischen die auf der Bühne versammelten Flaggen von Bund, Land und Stadt (Sponsor des Konzerts war Reinhard Daeschler von der Firma Mauss).

Erlangen wäre nicht Erlangen, hätte nicht der Eine oder Andere vor dem Konzert sich über die Werkauswahl mokiert. Aber auch die Lästerer dürften bald beeindruckt gewesen sein von der Wucht dieser musikalischen Heerscharen, die da zum Lob des Herrn angetreten waren: Der Siemens-Chor, der Akademische Chor der Friedrich-Alexander-Universität und der Schulchor des Ohmgymnasiums, dazu ein recht junges und frisches Erlanger Kammerorchester, das sich dem Anlass entsprechend an den Pulten mit "Aushilfen" verstärkt hatte, darunter auch Musiker aus den Partnerstädten Rennes, Wladimir und Jena. Und als Ulrich Kobilke gleich recht forsch die Posaunen das Maestoso-Hauptthema blasen ließ, ahnte der Zuhörer, dass ihn da eine spannende Sache erwartet.

Dieser Auftakt hielt, was er versprach: Temporeich ging Kobilke die ersten drei rein sinfonischen Abschnitte an, ließ überall den Mendelssohn durchblitzen, der durch die "Schottische", die "Italienische" oder den "Sommernachtstraum" so vertraut ist. Verlässlich folgte ihm die Instrumentalcrew, so dass auch knifflige Passagen, wie im Allegretto un poco agitato, wenn in den beschwingten Streicherklang mehrfach ein Choral eingeblendet wird - ganz selbstverständlich gelangen.

Und dann der Chor. Mendelssohn hat seinen Einsatz effektvoll komponiert. Die Sätze gehören sicher nicht zu den schweren der Gesangskunst und lassen sich gut von Laien bewältigen. Wie gemacht also für die drei Chöre, die sich als homogene Sängergruppe präsentierten. Nicht nur die Kraft der rund 150 Stimmen überzeugte, sondern vor allem die Präzision, mit der der Bibeltext lebendig gestaltet wurde. Mühelos folgte die Sängerschar dem konzentrierten Dirigat Ulrich Kobilkes, der ohne innehaltende Pausen die Perlen des Cantate-Teils aneinanderreihte. Besonders schön entfaltete sich der strahlende Choral "Die Nacht ist vergangen" nach dem fragenden Tenorsolo ("Stricke des Todes hatten uns umfangen") und der erlösenden Antwort des Soprans.

Mit Anne Lünenbürger (Sopran), Daniela Strothmann (Mezzosopran) und Erwin Feith (Tenor) hatten drei vorzügliche Solisten gewonnen werden können. Die an Opern geschulten Stimmen kamen der romantischen Dramatik des Werks entgegen. Es gelangen ihnen Momente von bewegender Innerlichkeit.

Applaus und Bravo-Rufe

Natürlich gab es für die Mitwirkenden einen riesigen Applaus mit vielen Bravo-Rufen. Für die Mannschaft war es die zweite Aufführung des Tages. Bereits am Mittag hatte sie eine öffentliche Generalprobe bestritten für die, die für den Abend keine Karten mehr bekommen konnten. Um so bedauerlicher war es, dass zum Hauptkonzert doch verschiedene Plätze leer blieben. Die nach dem Festakt gingen, haben ein großes Ereignis dieses Jubiläumsjahres versäumt.

Der Auftakt der 1000-Jahr-Feier fiel zusammen mit dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Zum Konzert darf ein kleiner Exkurs in die Geschichte unternommen und daran erinnert werden, wie Väter und Großväter mit Mendelssohn umgingen. Zwölf Jahre war es im Nazi-Deutschland verboten, seine Musik zu spielen. In Erlangen bekam dieses Verdikt auch Leonie Mendelssohn Bartholdy zu spüren, die aus Köln kam, in die Familie eingeheiratet hatte und am Welsweg Klavier unterrichtete. Öffentlich wurde in Erlangen dazu aufgerufen, ihr Haus zu meiden. Ihre Tochter, Pianistin wie die Mutter, nahm einen anderen Namen an, um noch konzertieren zu können. Es kursierte damals der Spottvers "Fünf kleine Negerlein, die spielten einst Klavier./ Eines spielte Mendelssohn, da waren's nur noch vier". Leonie Mendelssohn verwahrte als Erinnerung an den Naziterror eine Zeichnung, die das wunderschöne e-Moll-Violinkonzert als katzenmusik darstellt.

Felix Mendelssohn Bartholdy war zwölf Jahre alt, als er christlich getauft wurde, und nicht nur die jetzt aufgeführte Symphonie-Kantate "Lobgesang", auch ein Werk wie die Reformationssymphonie zeigt, dass er ein überzeugter Christ war. Wie die Nazis in ihrer Blut- und Bodenideologie damit umgingen, zeigt ein Erlanger Beispiel: Hiesige Professoren der Theologie waren es, die im September 1933 ein Gutachten erstellten, in dem getauften Juden das Recht auf kirchliche Ämter abgesprochen wurde.

...

KLAUS SPRINGEN

eko.xml: Sa, 29. Mai 2004