Botticelliana am Sonntag, den 25.3.2001 in der Klosterkirche Frauenaurach

 

Erlanger Kammerorchester
Leitung: Ulrich Kobilke
Solist: Carlos Fritzsche, Klarinette
Sprecher: Gerhard Palder (Schillertheater NRW)


Ottorino Respighi (1879-1936)

Trittico botticelliano

Frühling
Anbetung der Könige
Geburt der Venus

Edvard Grieg (1843-1907)

Letzter Frühling

Andante
aus: Elegische Melodien op. 34
in einer Fassung für Soloklarinette und Streicher

Claude Debussy (1862-1918)

Printemps - Suite symphonique

Très modéré
Modéré

Botticelliana

Die bildende Kunst, die Literatur und die Musik stellen zwar völlig verschiedene Ausdrucksformen von Kreativität dar, sind aber in bestimmten Zeiten unserer Kulturgeschichte besonders eng miteinander verbunden. Jede der drei Bereiche wirkte auch über Jahrhunderte hinweg impulsgebend auf die jeweils anderen. Symphonische Musik, die nach konkreten Bildvorlagen entstanden ist, bildet den Ausgangspunkt der Programmkonzeption des heutigen Abends. Literatur und Textmaterial belegen die geistesgeschichtlichen und ästhetischen Vorstellungen der unterschiedlichen Zeitströmungen. Aus dem Geiste und der Bildung eines Uomo universale erwuchsen die Werke des Malers Sandro Botticelli in enger Verbindung zu den Humanisten Angelo Poliziano und Marsilio Ficino unter dem weitsichtigen Sponsoring der Familie Medici. Zur Ausgestaltung ihrer Villa in Castello entstand 1478 der "Frühling" im Auftrag von Pier Francesco Medici. Möglicherweise gab ein Gedicht von Poliziano die Anregung zu diesem Gemälde. Literatur und bildende Kunst zeigen im späten Quattrocento eine gemeinsame Neuinterpretation des antiken Weltbilds. Als Tochter von Jupiter und Dione wird Venus aus den Wellen geboren und am Ufer von Flora empfangen. Die Winde Zephir und Chloris blasen die Göttin der Schönheit, der Liebe, des Frühlings und des Gartens im Muschelboot übers Meer. Simonetia Vespucci, die Geliebte des Herzogs Giuliano von Medici, soll für das 1482 bestellte Auftragswerk "Geburt der Venus" Modell gestanden haben.

Botticellis 1475 für die Kirche Santa Maria Novella geschaffenes Altarbild "Anbetung der Könige" taucht ganz in die Renaissancewelt ein, indem er seine adligen Förderer und sich selbst als Besucher des Stalls von Bethlehem porträtierte. Liebe und Geburt, Werden und Vergehen sind ab jetzt feste Topoi der folgenden Kulturepochen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erweitert sich die Metapher vom Frühling in eine ganz bestimmte Richtung: Da wird vom Traum der Jugend, dem schnell schwindenden Glück und einem letzten Frühling gesprochen, der Anfang und Ende zugleich in sich trägt.

Grieg verknüpft in seinen "elegischen Melodien" op.34 von 1883 die Titel "Herzwunden" und "Letzter Frühling"; als Norweger steht er in einer hochromantischen Tradition, die nationales Volksgut und Einflüsse seiner Leipziger Studienjahre miteinander verbindet. Ob in apathischer Ausprägung wie im "Frühling" betitelten Bild von Stjernschantz (1897) oder in der zum liegenden, üppigen Akt gewordenen "Geburt der Venus" von Cabanel (1863), ob in der verfeinerten und doch unkomplizierten Sprache Rilkes im 1903 verfassten Gedicht "Geburt der Venus" oder im 1927 von Respighi komponierten "Trittico botticolliano" -von kammermusikalisch durchsichtiger, klar konturierter Instrumentation -, sie alle zeigen, mit welchen zentralen Themen von der Renaissance bis in die Moderne sich die Künste befasst haben. An der 1887 entstandenen zweisätzigen Orchestersuite von Debussy mag man ermessen, welche Anziehungskraft zwischen den symbolistisch beeinflussten Impressionisten und der metaphernreichen Bildkunst der Renaissance bestand. Mit starkem Gewicht auf atmosphärische Schilderung weist Debussy dem Melodischen eine veränderte Rolle zu. Er sah in "Printemps" "ein Werk von spezieller Färbung, das möglichst viele Sinnesempfindungen vermitteln sollte."

Liegt der Grundgedanke übergreifender Gemeinsamkeiten von bildender Kunst, Literatur und Musik auch diesem Abend zugrunde, so sind die beweisbaren und teilweise auch hypothetischen Analogien mehr Anlass als Ziel der beabsichtigten Synästhesie. Jedem Bereich wohnt seine eigene Qualität inne, die jenseits der interdisziplinären Aspekte angesiedelt ist. Lassen Sie sich von der thematischen Einheit von Bildern, Texten und Musik tragen, aber auch von dem individuellen Reichtum der jeweiligen Kunstausprägung.

U. Kobilke

eko.xml: So, 24. Aug 2003