Erlanger Kammerorchester

Sommerserenade

Sonntag, 30. Juni 2002, 19 Uhr

Schloss Weißenstein, Pommersfelden

Peteris Vasks
(geb. 1946)

"Cantabile" für Streicher

Hans Ludwig Schilling
(geb. 1927)

"Fantasia lirica" für Violine und Streicher

Wolfgang Amadeus Mozart
(1756 -1791)

Konzert für Violine und Orchester Nr. 4,
D-Dur, KV 218

I. Allegro
II. Andante cantabile
III. Rondeau. Andante grazioso

Peter Tschaikowsky
(1840 - 1893)

Serenade für Streichorchester C-Dur, op. 48

I. Pezzo in forma di sonatina:
Andante non troppo – Allegro moderato
Andante non troppo
II. Valse. Moderato. Tempo di Valse
III. Elégie. Larghetto elegiaco
IV. Finale. Tema russo. Andante – Allegro con spirito

Solistin:

Elisabeth Kufferath

Die Hamburger Geigerin Elisabeth Kufferath studierte an der Musikhochschule Lübeck bei Uwe-Martin Haiberg und Nora Chastain und als Stipendiatin am Cleveland Institute of Music in den USA bei Donald Weilerstein. Meisterkurse bei Pinchas Zukerman, Joseph Gingold, Miriam Fried und Walter Levin rundeten ihre Ausbildung ab. Seit 1996 ist sie 2. Konzertmeisterin der Bamberger Symphoniker. Weiter ist sie als Dozentin für Violine beim Interlochen Center for the Arts, Michigan/USA tätig.

Elisabeth Kufferath war mehrfache Bundespreisträgerin bei „Jugend musiziert“ und gewann den Preis des NDR Sinfonieorchesters Hamburg. Sie wurde als Stipendiatin von der Stiftung Villa Musica gefördert. Außerdem war sie Gewinnerin des Cleveland Concerto Competition 1991 und 1. Preisträgerin beim Vienna Modern Masters International Competition in Wien 1996.

Als Solistin trat sie mit dem WDR-Sinfonieorchester unter Heinz Holliger, dem Münchener Kammerorchester unter Christoph Poppen, dem Kölner Kammerorchester, dem Ensemble Oriol Berlin unter Marcus Creed, den Göttinger Sinfonikern, dem Bundesjugendorchester, der Staatsphilharmonie Bacau, Rumänien und dem Cleveland Chamber Orchestra auf, konzertierte in der Hamburger Musikhalle, der Kölner und der Berliner Philharmonie, im europäischen Ausland und in den USA. Tourneen führten sie nach China, Israel, Rußland und Südostasien. Elisabeth Kufferath ist Mitglied im Tetzlaff Quartett, das regelmäßig Konzerttourneen unternimmt und bereits in Berlin, Köln, Paris, Rom, Florenz und Wien gastierte. Auch spielte sie mit Isabelle van Keulen, Patrick Demenga, Christoph Poppen, Lars Vogt, Pierre-Laurent Almard, Alexej Lubimov, dem Klaviertrio Jean Paul und war zu Gast bei vielen renommierten Festivals wie den Berliner Festwochen, dem Schleswig-Holstein Festival, dem Rheingau-Festival, dem Baden-Badener Musiksommer, den Wittener Tagen für Neue Musik, dem St. Gallen Kammermusikfestival, dem Internationalen Musikfestival Davos/Schweiz und den Ravinia, Aspen, Sarasota und Interlochen Festivals in den USA.

Leitung:

Ulrich Kobilke

Er stand 1986 zum ersten Mal am Pult des Erlanger Kammerorchesters, das ihn 1993 zu seinem ständigen Dirigenten wählte.

Seine Ausbildung zum Schulmusiker erhielt er an der Münchener Musikhochschule. Zu dieser Zeit leitete er die Prager Universitätssängerschaft in München.

Er ist in Erlangen als Seminarlehrer tätig und hat einen Lehrauftrag für Musikgeschichte an der Musikhochschule Nürnberg. Im Dezember 2000 nahm er an einem Meisterkurs von Menahem Pressler (Beaux Arts Trio) in Basel teil. Als Pianist widmet er sich mit großem Vergnügen der Kammermusik.

Ein Komponist aus Lettland

Peteris Vasks und sein "Cantabile"

Er ist ein Vertreter jener neueren, postmodernen Musik aus dem Baltikum, die in den letzten Jahren so "en vogue" gekommen ist. Symphonien und Solokonzerte umfasst sein Werkverzeichnis, geistliche Chorwerke, Streichquartette und andere Kammermusik, geschrieben u.a. für den Geiger Gidon Kremer, für den Cellisten David Geringas, für das Kronos Quartett oder das Hilliard Ensemble. Peteris Vasks, von dem die Rede ist, wurde 1946 in der kleinen lettischen Stadt Aizpute geboren. Er studierte zunächst Kontrabass an der Musikschule in Riga, zu deren Absolventen auch Mariss Jansons, Gidon Kremer und Misch Maisky gehören. Danach ging er nach Litauen, wo er in Wilnius das Kontrabass-Studium fortsetzte. Seine kompositorische Ausbildung erfolgte zwischen 1973 und 1978 am Lettischen Staatskonservatorium in Riga.

Das Komponieren von Vasks war anfangs beeinflusst von der polnischen Avantgarde der Sechziger Jahre, doch kultivierte er in der Folge eine einfache, diatonische Schreibweise. Das erste Werk in diesem Stil war das "Cantabile" für Streicher von 1979. Der Titel bildet gewissermaßen das Programm oder das Motto von Vasks' gesamter Musik. Bekannte doch der Komponist, dass sein bevorzugtes Ausdrucksmittel "die singende melodische Linie" sei - das also, was die Letten "dziedajums" und die Italiener "cantabile" nennen. Geprägt und intensiviert ist diese Kantabilität in Vasks' Stück durch die Diatonik der Melodik und Harmonik. Der Komponist nannte sie eine "weiße Diatonik", weil er bei dem Werk nur jene Töne verwendete, die auf dem Klavier den weißen Tasten entsprechen. All dies verbindet sich im "Cantabile" zu einer sphärischen, abgeklärten Musik aus einem dichten Gewebe von Streichersonoritäten. Trotz des bewegteren Mittelteiles bleibt sie statisch, kreist gleichsam um sich selbst und insistiert dabei auf den primär religiös imprägnierten Idealen des Komponisten, die Glaube, Liebe, Hoffnung heißen.

Ein Rheinländer in Nürnberg

Hans Ludwig Schilling und seine "Fantasia lirica"

Er wurde 1927 in der Eifel-Stadt Mayen geboren und besuchte dort das Gymnasium, auf das auch Gustav Gründgens und Mario Adorf gingen. Mit der Tenor-Legende Fritz Wunderlich trat er nach dem Krieg, während seiner Freiburger Studienzeit, gemeinsam in einer Tanzcombo auf. Zu seinen Kompositionslehrern gehörten keine Geringeren als Paul Hindemith, Olivier Messiaen und Harald Genzmer. Und als Musikwissenschaftsstudent war sein Doktorvater der berühmte Willibald Gurlitt. Kein Zweifel: Hans Ludwig Schilling ist selbst eine Berühmtheit, eine Instanz, eine lebende Legende - zumindest in unseren Sphären. Fast zwanzig Jahre lang unterrichtete er Komposition am Nürnberger Konservatorium, vermittelte dort ungezählten Studenten das solide Handwerk, jenseits von pseudo-intellektuellem Getue und ausgeflipptem Künstlertum. Daneben entstand ein umfangreiches kompositorisches OEuvre aus über 400 Titeln fast aller Formen und Gattungen, darunter viel Orchester-, Kammer- und Orgelmusik. Lediglich eine Oper hat Hans Ludwig Schilling (bislang) nicht komponiert. "Zum einen", so der Komponist, "bin ich seit zwanzig Jahren auf der Suche nach einem geeigneten Textbuch, und zum anderen ist der Grundton meiner Musik wohl zu lyrisch."

Jener Hang zur musikalischen Lyrik offenbart sich auch in so manchem Werktitel Hans Ludwig Schillings. 1978 entstand eine "Sonata lirica" für Violoncello und Orgel. Die hier gespielte "Fantasia lirica" für Violine und Streicher, die auch in einer Fassung für Violine und Orgel existiert, datiert von der Mitte der Neunziger Jahre. Es ist eine fassliche, gut zu hörende Musik, einfach in der Struktur und dabei doch anspruchsvoll im Kompositorischen. Damit aber zeugt die "Fantasia lirica" von den besten Eigenschaften des Komponisten Hans Ludwig Schilling. Nicht zuletzt gehört dazu die Fähigkeit, eine Musik zu schreiben, die nicht nur in den Insider-Zirkeln verstanden wird, sondern auch vom breiten Publikum.

Thematische Vielfalt, formale Experimentierfreude

Zum Violinkonzert D-Dur KV 218 von Wolfgang Amadeus Mozart

Mozart war in erster Linie Pianist, doch konnte er sich auch als Geiger in professioneller Weise artikulieren. Zwischen 1772 und 1777 war er Konzertmeister der Hofkapelle des Salzburger Erzbischofs Hieronymus Graf Colloredo, und aus dieser Zeit stammen auch seine insgesamt fünf Violinkonzerte: Das erste datiert von 1773, die anderen vier entstanden 1775.

Der erste Satz des Konzertes KV 218 speist sich aus einer Fülle von Themen und Motiven. Bereits das eröffnende Tutti präsentiert mindestens sechs Gedanken, und die Solovioline stellt dann ihrerseits noch weitere vor. Eine Pointe der Solo-Exposition liegt in der Art und Weise, mit der die Violine die beiden - vom Orchester in mittlerer Tonhöhe exponierten - Hauptgedanken wiederholt: Das marschartige Initialmotiv wird vom Solo in sehr hoher Lage vorgetragen, während das anmutige Seitenthema zunächst in einer Lage erklingt, die sich an der unteren Grenze des Tonumfanges der Violine bewegt. Die Durchführung geht ganz eigene Wege, bezieht sich in den Figurationen des Solos kaum direkt auf die Exposition. Die Reprise "mogelt" sich dann gleichsam durch die Hintertür in den Verlauf und vertauscht die ursprüngliche Reihenfolge der Themen - ein Mozartsches Wunder, dass trotz aller thematischer Vielfalt und formaler Experimentierfreude sich ein stringenter Zusammenhang ergibt.

Der langsame Satz ist in seinem romanzenhaften Habitus französisch inspiriert. Das innige erste Thema und das tänzerisch-zierliche zweite atmen indes eine Tiefe und kindliche Reinheit des Ausdrucks, wie sie in Violinkonzerten zuvor nur von Tartini und nach Mozart erst wieder von Beethoven in vergleichbarem Maß erreicht wurden. Verblüffend sind die Schlusstakte dieses Andante cantabile. Als sei es selbstverständlich, läßt Mozart den Satz mit einer Phrase enden, die vorher stets eine lediglich überleitende und verbindende Funktion hatte - eine Idee von Haydnschem Witz und Humor.

Die Schlusssätze der drei letzten Violinkonzerte Mozarts sind allesamt höchst originell und voller unerwarteter Entwicklungen. Im Finale des D-Dur-Konzerts setzt sich das das Ritornell aus zwei in Tempo, Taktart und Charakter gegensätzlichen Bestandteilen zusammen: einem versonnenen, gemächlichen Thema im 2/4-Takt und einem ausgelassenen, gigueartigen Tanz im 6/8-Takt. Die beiden Partien kehren abwechselnd rondoartig wieder. Dazwischen tritt als Mittelteil eine weitere Andante-Episode. Ihr Thema läßt die damals als "Straßburger" bekannte "Musette Ballo Strasburghese" anklingen, wobei die streckenweise zur Melodie mitklingende leere G-Saite der Solovioline den Musette-(Dudelsack-)Bass imitiert. Danach kehrt das Ritornell wieder, und die witzige Schlusspointe des langsamen Satzes steht schließlich auch am Ende des Rondos: Mit einer überleitenden Phrase aus dem Ritornell verklingt das Konzert in sanftem Piano.

Zwischen Symphonie und Streichquintett

Zur Streicherserenade von Peter Tschaikowsky

Die Streicherserenade ist ein Produkt des für Tschaikowsky schöpferisch überaus fruchtbaren Jahres 1880. In jenem Jahr vollendete er sein 2. Klavierkonzert und schrieb neben der Streicherserenade noch zwei weitere Werke, die bis heute zu seinen populärsten gehören: das "Capriccio Italien" und die Ouvertüre solennelle "1812". Unter den drei Bestsellern sind das "Italienische Capriccio" und die Serenade Meisterwerke. Anton Rubinstein soll die Streicherserenade während der Proben zur Moskauer Erstaufführung am 12. Juni 1882 sogar als "Tschaikowskys bestes Stück" bezeichnet haben.

Als "etwas zwischen Symphonie oder Streichquintett" hatte Tschaikowsky die Partitur zunächst projektiert. Das Werk, das dann Anfang November 1880 vollendet vorlag, steht in seiner "symphonischen" Klangfülle dem Typus der Sinfonietta nahe, in der Genrehaftigkeit seiner Mittelsätze dem der Suite. Insgesamt gehört die Serenade also eher dem "leichteren" symphonischen Genre an. "Der erste Satz", erläuterte der Komponist, "darf als Tribut meiner Verehrung für Mozart angesehen werden; er ist eine bewusste Nachahmung seines Stils." Mozarts Einfluss offenbart sich freilich weniger im Ton der Musik als vielmehr in der kompositorischen Haltung. So hat Tschaikowsky den Kopfsatz mit "Pezzo in forma di sonatina" (Stück in Form der Sonatine) überschrieben und wollte ihn damit wohl abgrenzen von den komplexen und dramatischen Sonatensätzen in der Tradition Beethovens. Tschaikowsky verzichtet im ersten Satz der Streicherserenade gänzlich auf eine eigentliche Durchführung, läßt die beiden Themen in lockerer Anordnung aufeinanderfolgen. Eingerahmt wird dieses erste Allegro von einem eröffnenden und schließenden Andante non troppo, im Gestus nobel-aristokratisch, gleich der ehrerbietenden Verbeugung eines Kavaliers vor seiner vornehmen Dame.

An zweiter Stelle steht kein langsamer Satz im herkömmlichen Sinn, sondern einer von Tschaikowskys elegantesten Walzern, in der Helle und Leichtigkeit mancher Partien an das "Italienische Capriccio" gemahnend. Der langsame Satz steht dann an der dritten Stelle und ist mit "Elegie" überschrieben. Eine traumverlorene Introduktion führt zu einer Art instrumentalen "Arie", die über einen lastenden Orgelpunkt der Kontrabässe in die Wiederkehr der traumverlorenen Einleitungsmusik mündet. Die Eröffnung des Finales komponiert gleichsam das Erwachen aus dem Traum der "Elegie" und intoniert anschließend das "Tema russo", das russische Thema, das zum Gegenstand des Satzes wird. Es geht auf das Volkslied "Unterm grünen Apfelbaum" aus Tschaikowskys Sammlung "50 russische Volkslieder für Klavier zu vier Händen" (1868/69) zurück. In seiner Struktur aus auf- und absteigenden Tonleiterausschnitten ist es mit dem noblen Andante-Rahmenthema des Kopfsatzes verwandt - eine Verwandtschaft, die Tschaikowsky in der brillanten Coda unmittelbar offenbart, wenn er beide Themen aufeinanderfolgen läßt. Der Kreis hat sich geschlossen.

K. Meyer



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